Sonntag, 26. Februar 2017

Wahrhaftigkeit


Wahrhaft sein, wahrhaftes Sein...was heißt das überhaupt? Tagtäglich nehmen wir diese Worte in den Mund, oft ohne sich 'wahrhaft' bewusst zu sein, was es wirklich bedeutet, sondern eher als Floskel und ohne zu erkennen, welche Lernaufgabe hinter dieser Redewendung für uns steckt.

Laut Wikipedia ist mit Wahrhaftigkeit "eine Denkhaltung, die das Streben nach Wahrheit beinhaltet. Das Für-Wahr-Halten der eigenen Aussage in einem konkreten Kontext." gemeint. Nach Otto Friedrich Bollnow wendet sich die Wahrhaftigkeit nach Innen, das heißt, sie lebt in der Beziehung des Menschen zu sich selbst. Der Duden verwendet als Synonyme für die Wahrhaftigkeit u.a. Ehrlichkeit, Loyalität, Zuverlässigkeit.

Stellen wir uns mal die Frage "Lebe ich wahrhaftig?" Mit dieser Frage möchte ich nicht bloß auf das physische Dasein hinweisen, sondern auf die Achtsamkeit und Bewusstsein des eigenen Lebens. Wahrhaftigkeit ist ein Weg der Erkenntnisse, beim einen mag er kürzer sein, beim anderen länger. Das ist individuell verschieden. 

Coachingarbeit ist im Grunde eine Begleitung auf dem Weg der Erkenntnis. Tagtäglich kommen Klienten zu mir, egal ob aus Sport, Management, Medizin, Naturwissenschaft, Medien, Politik....sie alle wenden sich an mich mit einem konkreten Thema, egal ob beruflich, privat, beziehungstechnisch oder im Leistungssport. Sie kommen in Rage, emotional aufgeladen, verzweifelt, durcheinander, hilflos, machtlos...schildern ein Konflikt, den sie meist mit jemand anderem führen und nach einer Lösung, nach einem Ausweg suchen. Im Coaching reflektieren wir den Sachverhalt und suchen nach Erkenntnissen und daraus resultierenden konkreten Lösungen. Danach tritt eine Erleichterung ein. Doch, was passiert da genau? Jeder Konflikt, den wir im Außen mit anderen Menschen führen ist ein Spiegel eines Konflikts, den wir mit uns selbst führen, meist unbewusst. Und es gilt aus dem Konflikt etwas zu erkennen, um unserer Wahrhaftigkeit ein Stück näher zu kommen. Konflikte sind immer ein Zeichen, dass wir im Grunde unehrlich zu uns selbst sind und sozusagen Raubbau an uns selbst betreiben, nicht wahrhaft sind.

Sind wir mal ehrlich zu uns selbst: Sind wir immer und überall, in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen wirklich ehrlich zu uns selbst? Leben wir immer das, was wir selbst wirklich wollen, was zu unserem Wohle und Besten ist? Oder lassen wir uns selbst etwas vormachen? Machen wir uns selbst etwas vor? Verstecken wir uns hinter irgendwelchen Masken und Schutzmauern, die aus Unsicherheiten, Ängsten und negativen Erlebnissen aus der Vergangenheit resultieren, die wir uns selbst aufgebaut haben, um uns vermeintlich zu schützen? Nehmen wir unsere eigenen Schutzmauern überhaupt noch wahr? Oder wundern wir uns, warum wir ständig gestresst, müde, ausgelaugt sind und uns dann ein Burnout attestieren lassen? All diese Symptome sind klare Anzeichen, dass die Wahrhaftigkeit nicht gelebt wird. Dass ein Schein und nur ein Schattendasein von uns selbst zugelassen wird. Vergleichbar mit dem Höhlengleichnis von Platon. Schon er wollte mit seinem Gleichnis die Menschheit zur Wahrhaftigkeit ermutigen.

Wahrhaftigkeit erfordert Mut und Entschlossenheit, doch bringt sie so viel Leichtigkeit, Klarheit und Stärke mit sich, denn wenn wir wahrhaftig sind, sind wir konsequent ehrlich zu uns, leben unser wahres Potenzial und sind stets in unserem Element und glücklich.

Wie gelangen wir zur Wahrhaftigkeit? Fragen wir uns einmal selbst ob wir das, was wir tun auch wirklich unserem Sein, unseren Interessen, Talenten, Neigungen, Stärken entspricht und warum wir es wirklich tun? Tun wir es, weil es uns wirklich Spaß macht und erfüllt und wir dabei eine Leichtigkeit, ein Fluss spüren oder weil wir irgendjemand etwas "beweisen" wollen oder nach Anerkennung streben? Tun wir das, was wir tun für uns selbst oder lediglich für unseren Lebenslauf oder gar für jemand anders? Treffen wir unsere Entscheidungen aus unserem Herzen oder aus Angst, dass es für unseren weiteren (beruflichen oder sportlichen) Lebensweg irgendwelche negativen Folgen haben könnte? Spüren wir Ängste, Stress und Unsicherheiten bei unseren Handlungsschritten bzw. Entscheidungen? Wollen wir uns vor irgendwas drücken und somit unterdrücken und uns selbst unter Druck setzen?
So lange wir an solchen Mustern festhalten, hinter Masken und Schutzmauern leben, im Alltag Stress und Druck spüren, uns die Beziehungen und Handlungsfelder, unser Job krank macht, ist es ein klares Zeichen, wie achtlos wir mit uns umgehen und wie weit wir von der Wahrhaftigkeit entfernt sind. Nicht das Leben leben, das wir wirklich wollen. Oft sind es auch antrainierte Muster aus unserer Erziehung, die uns prägen.

Doch das Schöne ist, wir können jeden Tag aussteigen. Stellen wir uns vor wir befinden uns in einem Kreisverkehr. Wir haben die Möglichkeit die Ausfahrt zu nehmen und weiter zu kommen, uns selbst näher zu kommen. Wir drehen uns nicht länger im Kreis, sondern fangen an, uns zu ent-wickeln, uns von dem zu lösen, was uns davon abgehalten hat wahrhaft und vollkommen ehrlich zu uns selbst sein. Welche Kräfte sich da frei setzen und welchen Gewinn wir dann in den Händen halten, ist unglaublich. Wir gehen achtsam und wertvoll mit uns selbst um und das gibt uns auch unser Umfeld zurück.

Wahrhaftiges Sein ist im Grunde der oder die zu sein, der/die ich wirklich bin. Frei sein auf allen Ebenen. Ehrlich zu sein und dies als Grundhaltung uns selbst und anderen gegenüber zu leben, unserer Würde entsprechend, wie es in Artikel 1 des Grundgesetzes steht. Würdevoll mit sich selbst umgehen, sich seinen Ängsten zu stellen, sie zu überwinden, Protagonist im eigenen Leben zu sein, selbstbestimmt zu handeln, die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen. 

Stellen wir uns einmal vor, welches Kraftfeld wir auf Erden hätten, würde jeder Mensch seine Wahrhaftigkeit leben. Neid, Gier und Missgunst wären chancenlos.

Ich freue mich, dass ich in meiner Coachingpraxis täglich Menschen auf ihrem Weg zur Wahrhaftigkeit begleiten darf, durch Impulse, Perspektivenwechsel, Reflexionen, welche Blockaden auflösen, Masken fallen und Schutzmauern einstürzen lassen.

Nur Mut, jeder Mensch, egal welchen Alters und welchen Standes hat die Chance zum wahrhaften Sein.

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